Katharina von Zimmern
Katharina von Zimmern (1478-1547) wurde als viertes Kind von Freiherr Werner von Zimmern und Gräfin Margarethe von Oettingen 1478 in Messkirch (Deutschland, Baden-Württemberg) geboren. Da ihre Familie flüchten musste, kam Katharina von Zimmern nach Weesen am Walensee. Dort lernte sie den sechs Jahre jüngeren Huldrych Zwingli kennen, den späteren Leutpriester und Reformator Zürichs, der nebenan bei seinem Onkel Bartholomäus wohnte.
Als 18-Jährige nahm Katharina von Zimmern die Wahl zur Äbtissin des Fraumünsters an und sollte diese Funktion fast 29 Jahre lang ausüben. Sie nahm dieses Amt in einer Zeit an, in der neue Visionen aufgekommen waren. Seit der Renaissance und durch den Humanismus (Erasmus von Rotterdam) waren den Zürcher:innen zu den bisherigen Konzepten wie «Allmenden/Commons» auch proto-demokratische Konzepte wie «Ekklesia/Synagoge» und «Polis» vorgedrungen. Zudem relativierten Übersetzungen der alttestamentlichen hebräischen und neutestamentlichen griechischen Schriften institutionalisierte sakrale Hegemonie.
Am Vorabend der Reformation waren die Zeiten kritisch geworden – und Proteste aufgekommen. Dass die Äbtissinnen über 200 Jahre die Steuersätze kaum erhöht hatten, genügte dem volkstümlichen Materialismus nicht mehr. Mit dem Aufkommen von Banken und Handelsplätzen auf neu entdeckten Kontinenten waren neue Möglichkeiten der Partizipation aufgekommen – an der Gestaltung der Gesellschaft, an der Gestaltung der Politik, Wirtschaft und Religion. Die neuen Visionen und Argumente führte selbstermächtigten Akteur:innen mit zu selbstbestimmten Agenden.
Die beunruhigten Menschen übernahmen die Argumentation der Reformator:innen: humanistisch-universalistisch. Die 47-Jährige war «mit ihrem Latein am Ende». Denn Königtum und Papsttum waren in eine grundlegende Krise geraten – die königlichen Rechte hatten an Wirksamkeit verloren. Religion und Glaube waren nicht mehr unangefochten – und sogar die Orden, die Konkurrenz, waren es nicht meht. Dass in Staat, Kirche und Gesellschaft Reformen anstanden, muss Katharina von Zimmern erkannt haben, mehr noch: dass das ganze System und seine Institutionen vor einer Zeitenwende standen.
Durch Zwingli muss sie von der Avantgarde in seinem Team (Orientalisten, Gräzistik, Judaistik, Arabistik) am Grossmünster erfahren haben. Darunter ein Hebräischlehrer, der jüdische Arzt Mosche von Winterthur und der Lehrer für orientalische Sprachen Theodor Bibliander. Dieser edierte beispielsweise die lateinische Übersetzung des Korans von Robert von Ketton aus dem Jahr 1143, um sie 1543 mit dem Buchdrucker Johannes Oporonius in Basel zu publizieren.
Katharina von Zimmern kannte die kritischen Schriften der zeitgenössischen Geistlichen zum Fastenstreit und zum Abendmahl, zum Beispiel von Heinrich Engelhard, Kleriker am Fraumünster und Leo Jud, Kleriker am St. Peter. Sie setzte kirchliche und gesellschaftliche Reformen durch und hielt das Fraumünster für gesellschaftlich relevante Diskussionen – Disputationen – offen.
Was in der Kindheit und Jugend mit persönlicher Verbundenheit begann, mündete im Erwachsenenalter in einen theologischen Dialog. Zwingli schenkte ihr die 1523 im Froschauer Verlag erschienene Schrift „Von menschlicher und göttlicher Gerechtigkeit“ mit einer persönlichen Widmung 1524. Katharina von Zimmern liess sich davon dazu bewegen, den neuen Visionen des 16. Jahrhunderts eine Chance zu geben.
Dass die Zürcher Reformation nicht als Kaperung in die Geschichtsschreibung einging, dazu gab die Fürstäbtissin Katharina von Zimmern den entscheidenden Dreh. Als sie am 30. November, ihre Abtei schloss, um sie am 8. Dezember, samt allem Hoheits- und Herrschaftsrechten dem Rat von Zürich zu übergeben, endete ihre fast 29-jährigen Karriere.
Mit der Übergabe agierte auch die 47-Jährige selbst von jeglichen Strukturen emanzipiert – was sie zu einer wahren Reformatorin macht. Sie hatte entschiedenen, ohne jemanden zu fragen, weder ihren einzigen Vorgesetzten (König) noch ihre Familie. Deciso blieb sie aber auch bei ihrer Vision, der Vision der Berta und Hildegard: Katharina von Zimmern wurde nie reformiert. Ihre souveräne Entscheidung führte zur Aufgabe ihres Berufes, aber nicht zur Negierung ihrer Berufung. Der Verlust ihrer politischen und religiösen Souveränität als Frau – gehörte zur Vision des bürgerlichen Lebens, das mit der Reformation den freien Menschen versprach.
Mit der Schliessung und Übergabe der Fraumünster-Abtei samt allen königlichen Rechten (Regalien) an den Zürcher Rat konnten Reformen umgesetzt werden, welche die Entwicklung eines heutigen Grossraumes Zürich vorwegnahmen.
Das Start-up 853 von Berta und Hildegard war 1524 zu einem Jump-start geworden – in den Händen des Zürcher Rates und ihres Reformators Huldrych Zwingli: «So dass sie [Anm.: Ratsherren und Bürger:innen] und ihre Nachkommen zu allen Zeiten das Gotteshaus, die Privilegien, die Pachturkunden und andere Urkunden, Urbare, Rodel und Register, Amtsleute und Amtsrechte, Leute und Dörfer und Höfe samt und sonders in Besitz nehmen und nach ihrem Willen und Belieben verwalten und Personen ein- und absetzen und anwerben sollen und können, wie sie es vor Gott dem Allmächtigen verantworten» (Zitat aus: Übergabeurkunde vom 8. Dezember 1524. Foto © Stadtarchiv Zürich. Transkription und Übersetzung © David Mache)
Nach der Gestaltungskraft wirkmächtiger Frauen war jetzt die Gestaltungskraft wirkmächtiger Männer gefragt. Im Protokoll des Rates von Zürich steht, Katharina von Zimmern habe getan, was Zürich lieb und dienlich sei – eine Referenz an den Propheten Jeremia 29,7 – und die Übersetzungsleistung Zwinglis und seines Kollegiums: «Und sucht das Wohl der Stadt, in die ich euch ins Exil geführt habe, und betet für sie zu Gott, denn in ihrem Wohl wird euer Wohl liegen.»
Durch Katharina von Zimmern war es 1524 nicht zur Kaperung Zürichs gekommen und auch nicht zu bürgerkriegsähnlichen Konflikten oder Bauernkriegen wie anderswo in Europa gekommen. Der Kappeler Krieg begann erst 1529.